R a b a n u s M a u r u s
* um 780 in Mainz - † 4.2.856 in Winkel

Ältester Namensträger der Rabanus-Familie
Der Versuch der Forschung, hinter Aufstieg und Niedergang der karolingischen Macht die geistigen Triebkräfte, das Lebensgefühl und den Ideenstrom, bloßzulegen, hat den tragenden Gestalten zu neuem, schärferem Profil verholfen. Immer zutreffender gelingt es, über ein Jahrtausend hinweg die Eigenart einer versunkenen Welt zu erfassen. Das Urteil ändert sich, alter Ruhm verblasst, kaum bekannte Namen gewinnen an Gewicht.

Für Hrabanus Maurus bedeutet der Wandel der Wertung die Rückkehr des Pendels zur Mitte. Den Jünger Benedikts hat Europas angesehenste Bildungsstätte, die Universität Paris, bis an die Schwelle der Neuzeit unter die Lehrer ihrer Gründungsjahre gezählt, und vielleicht kennzeichnet diese Legende seine Geltung bei der Nachwelt besser als der Titel eines Praeceptor Germaniae. Hrabanus Maurus ist sicherlich kein Genie, ebenso wenig freilich ein bedeutungsloser Plagiator. Das historische Gewissen verbietet, den Mann und seine Leistung an den Maßstäben des 19. und 20. Jahrhunderts zu messen; allein der Vergleich mit seinen Zeitgenossen schafft die Voraussetzungen für eine gerechte Würdigung. Hrabanus Maurus ist Lehrer wie Alkuin (um 730-804) und Dichter wie Walahfrid Strabo (808/9-849), aber er erreicht sie beide nicht. Er ist Abt wie Benedikt von Aniane (um 750-821) und Bischof wie Hinkmar (um 806-882), doch die Menschen jenseits der Klostermauer stehen im näher als dem Mönch von Kornelimünster, und anders als der Metropolit von Reims sieht er statt in der Kirchenpolitik sein Ziel in der Seelsorge. Ohne je zu ermüden, hat sich Hrabanus Maurus in den Dienst des umfassenden karolingischen Bildungsstrebens gestellt. Sein Ruf beruht auf seine Schriften. Sein Werk ist nicht vollständig erhalten; dass von den Briefen wenigstens ein Teil in die Gegenwart gelangt ist, verdankt man dem reformatorischen Eifer eines Flacius Illyricus und Magdeburger Zenturien. Nachdem die Echtheits- und Quellenfragen im wesentlichen erledigt sind, warten der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem geistigen Erbe des Lehrmeisters der Deutschen drei wichtige Aufgaben: die bisher ungedruckten Schriften zugänglich zu machen, nach den nicht seltenen beiläufigen persönlichen Bemerkungen ein Charakterbild zu entwerfen und vor allem eine befriedigende Einordnung in die Geistesgeschichte des 9. Jahrhunderts zu versuchen. Hinter dem Werk und seine Problematik steht das Leben Hrabans in Gefahr, an Interesse zu verlieren. Dennoch fehlt es auch hier nicht an Fragen, die der Klärung bedürfen.

Schon das Jahr, in dem Hraban in Mainz als Abkömmling eines vornehmen fränkischen Geschlechtes das Licht der Welt erblickt hat, ist unbekannt; man denkt heute an die zeit um 780. Den früh dem Kloster Fulda übergebenen Mönch sandte sein Abt Ratgar – oder dessen Vorgänger Baugulf- nach Tours. Alkuin, einst Mittelpunkt der Hofschule und einflussreicher Berater Karls des Großen, immer noch die unbestrittene theologische Autorität des Frankenlandes, erkannte, was er an dem gelehrigen Schüler hatte, lieber als die bedächtigen Kinder der Loire wurde dem großen Angelsachsen der Franke vom Rhein, und in Erinnerung an den bevorzugten Vertrauten des Mönchvaters von Monte Cassino nannte er ihn Maurus. Die Dauer des Aufenthaltes in Tours steht nicht fest. Jedenfalls kehrte Hraban vor Alkuins Tod 804 zurück und war in der Heimatabtei als Lehrer tätig, bis ihm Abt Eigil die Leitung der Schule übertrug. In der Zwischenzeit hatte er 814 die Priesterweihe empfangen, nachdem er 801 Diakon geworden war. Er wirkte im Geiste seines Meisters, aus betonter Verbundenheit hielt er den Übernamen bei. Und weil man sah, das Alkuin in seinem Maurus weiterlebte, wurde aus dem Zug nach Tours eine Wanderung nach Fulda.
Als Eigil 822 starb, wählten seine Mitbrüder Hraban zum Abt. Den größeren Aufgaben zeigte sich der Mann, der bisher der Stille und dem Unterricht gelebt hatte, durchaus gewachsen – anders als sein Vorbild Alkuin. Er vergaß die Wissenschaft nicht und fand immer wieder Muße, die geliebten Bücher vorzunehmen und schriftstellerisch tätig zu bleiben. Die Schule ließ er nicht aus dem Auge, die berühmtesten seiner Schüler saßen erst jetzt zu seinen Füßen: Walahfrid Strabo, der spätere Abt der Reichenau, Lupus von Ferrieres, der sich zu einem besten Vertreter des karolingischen Humanismus entwickeln sollte, Otfrid von Weißenburg, der Sänger des “Krist“. Die Klosterbibliothek verdankte der Fürsorge des Abtes manchen Zuwachs. Im ganzen freilich traten andere Pflichten in den Vordergrund. Die Vollendung des Klosterneubaus und die weitere Ausstattung der Abteikirche sahen Hraban als Bauherrn. Auf den auswärtigen Besitzungen ließ der Abt dreißig Kirchen für die Landbevölkerung errichten. Die Verantwortung für diese Gründungen und für die Kirchen in Fulda stürzte Hraban in jenen Strudel, den man mit wenig Übertreibung Reliquientaumel genannt hat. Der Abt von Fulda konnte hinter Angilbert und Einhard, hinter anderen großen Klöstern, wie Soissons, der Reichenau und Corvey, nicht zurückstehen und sicherte sich rechtzeitig neue Reliquien. Synoden und Kapitularien hatten zur Vorsicht gemahnt, aber seit Karl der Großen Tod war kein Halten mehr, und Bedenken, wie sie einer der bedeutendsten Bischöfe des Reiches, Agobard von Lyon, laut aussprach, kamen Hraban nicht.
Sorgen machten die wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Abtei wuchs von hundertvierzig auf zwei-hundertsiebzig Mönche. Zeitweise konnte dem Mangel an Tuch und Olivenöl nur mit kaiserlicher Unterstützung abgeholfen werden. Dennoch verengte sich der Blick nicht; die Mission in Schweden erfuhr zum Beispiel die offene Hand des Abtes. Der Sicherung und Abrundung des Grundbesitzes kam wiederholt die Teilnahme an Reichsversammlungen zugute. Ein Versuch, nicht näher bekannte klösterliche Rechte in Rom bestätigen zu lassen, schlug dagegen fehl; der energische Papst Paschalis I. ließ die Boten aus Fulda gefangen setzen und drohte dem Abte mit der Exkommunikation. Bekanntschaft und Fühlungsnahme mit Hof und Kurie dienten Hraban mehrfach zur Überreichung seiner Schriften; es wird sich schwerlich entscheiden lassen, wieweit hier amtliche Beziehungen persönlichen Zielen nutzbar gemacht wurden oder umgekehrt das wissenschaftliche Ansehen zugunsten bestimmter Anliegen in die Waagschale geworfen wurde.

Die Verflechtung mit der großen Politik brachte nicht nur Vorteile, sondern öfter Misshelligkeiten. Als der abgesetzte Erzbischof Ebbo von Reims zu Fulda in Klosterhaft saß, war der Kaiser mit der Ansicht des Abtes höchst unzufrieden und verlangte größere Strenge. Hraban missbilligte offen das Streben kirchlicher Würdenträger nach politischen Aufgaben. Weil er aber auf eine eigene klare Linie nicht verzichtete, wurde ihm die Politik trotzdem zum Verhängnis. Mit den führenden Kreisen der fränkischen Kirche teilte er die Sorge um die Reichseinheit. Ein theologischer Grund war schnell gefunden. Ähnlich wie in Lyon für Agobard und Florus, so ergab sich im Westen für Hraban die Einheit des Reiches aus der Einheit des Menschengeschlechtes. Diese Überzeugung führte ihn auf die Seite Ludwigs des Frommen. Gegen das Auftreten der Söhne stärkte er dem Kaiser in zwei besonderen Schriften den Rücken. Nach dem Tode Ludwigs 840 entschied sich Hraban im Sinne seiner Grundsätze für Lothar und trat für den Erben der Kaiserkrone ein. Als nun die Einheit des Reiches doch auseinanderbrach und der östliche Teil an Ludwig den Deutschen fiel, war Hrabans Stellung erschüttert. Noch bevor der Vertrag von Verdun den Zerfall besiegelte, schritt man in Fulda 842 zur Wahl eines neuen Abtes. Es ist unbekannt, ob Hraban auf sein Amt verzichtete oder ob er zum Rücktritt gezwungen wurde, sei es vom König, sei es von den Mönchen, die sich schon früher für Ludwig ausgesprochen hatten. Nachdem man die innerklösterlichen Machtkämpfe nicht mehr als persönliche Reibereien, sondern als Richtungsgegensätze und Parteistreitigkeiten zu verstehen gelernt ha, wird man auch bei den Fuldaer Vorgängen von 842 fragen müssen, ob die Politik Ursache oder Vorwand gewesen ist. War es Zufall, dass Hatto gewählt wurde, der sich schon vor geraumer Zeit in offenen Gegensatz zu seinem einstigen Mitschüler und jetzigen Abt gestellt hatte und für den unglücklichen Gottschalk eingetreten war? Selbst wenn hier kein Zusammenhang besteht, so zeugt der Vorfall doch, dass Hraban keineswegs in allen Fällen den Konvent geschlossen hinter sich hatte. Schon als Lehrer musste Hraban über Wiederstand innerhalb der Klostergemeinde klagen. Die Fuldaer Mönche waren nicht leicht zu regieren. Von den acht Äbten der ersten hundertfünfzig Jahre starben nur drei im Amt; dass gegen Abt Ratgar, mit dem er sich selbst auch nicht verstand, die Unzufriedenen wiederholt kaiserliche Hilfe anriefen, hatte Hraban sogar miterlebt. Die Verhandlungen nach der Neuwahl bewiesen, dass es Spannungen zu beseitigen gab. Bei Hraban blieb kein Stachel zurück. Er war froh, dem im Benediktinertum seiner Tage immer wieder aufbrechenden Zug zur Einsamkeit nachgeben zu können, und widmete sich auf dem nahen Petersberg ganz seiner Schriftstellerei. Die Verbindungen mit der großen Welt rissen nicht ab. Mit Ludwig dem Deutschen kam es bald zu einem Ausgleich. Auch ohne Amt war Hraban eine Macht. Darum gaben, als Erzbischof Otgar von Mainz 847 gestorben war, die Wähler nicht viel auf die Klagen des Einsiedlers über seine Kränklichkeit und beriefen ihn zur Nachfolge.
Die wenigen Nachrichten über seine Amtsführung zeigen kaum geminderte Schaffenskraft. Die Verwaltung des ausgedehnten Sprengels und des Bistumsgutes brachte Ärger mit unbotmäßigen Lehnsleuten. Seine Hauptaufgabe sah der Oberhirt in seinen geistigen Pflichten. In den Verhandlungen und Beschlüssen der drei von ihm schon bald veranstalteten Synoden wandte er sich mehrfach gegen Irrlehren und Volkslaster, unterstützte er die gerade damals einsetzenden Bestrebungen zu deutscher Predigt. Sein Rat in schwierigen Seelsorgefällen war weit gefragt. Die Hungersnot von 850 zeigte den Kirchenfürsten als vielgerühmten Helfer sogar in leiblicher Not. Auf die Politik Einfluss zu nehmen, verschmähte er. Auch im kirchlichen Raum waren Kraftproben nicht seine Sache. Hraban war kein Hinkmar. So unterhielt er zu den Landbischöfen, gegen die in Westfranken allerhand Widerstand laut wurde, wie bereits in Fulda die besten Beziehungen; Drogo von Metz gegenüber nahm er sie ausdrücklich in Schutz. Die wissenschaftliche Tätigkeit ruhte nicht. Als den durch Krankheit und Alter Ungebrochenen am 04.Februar 856 der Tod ereilte, fielen seine Bücher, wie er bestimmt hatte, den Abteien Fulda und St. Alban in Mainz zu; seine Werke aber gehörten längst der ganzen gebildeten Welt.

Bereits die erste Schrift, eine Folge von achtundzwanzig Gedichten zum Lob des Kreuzes Christi, hatte mit der ausgeklügelten Anordnung der Hexameter und der Aussparung der eingefügten Bilder eine Bewunderung erregt, die bis ins 16. Jahrhundert andauerte. Die ganze Arbeit, deren Buchstabennetz übrigens die Schreibweise Rabanus` authentisch sichert, lebt unverkennbar aus antiker, näherhin alexandrinischer Tradition und ist ein eindrucksvolles Zeugnis für den Geist von Tours; es bedurfte der Eingangstafel, eines der frühesten Dedikationsbilder der mittelalterlichen Buchmalerei, nicht, um Hraban als Schüler Alkuins auszuweisen. Neue Widmungen begleiteten die Überreichung weiterer Exemplare an Kaiser und Papst und andere einflussreiche Persönlichkeiten. Die Dichtung ließ Hraban im Jahre 819 das berühmte Werk „Über die Bildung der Geistlichen“, einen Abriss des Unterrichtsstoffes, folgen. Im Anschluss an die Aachener Beschlüsse von 816 und auf dem Hintergrund der Bemühungen Karls und besonders Ludwigs zur kulturellen Hebung des geistlichen Standes war hier ein Anliegen aufgegriffen, das den Verfasser bis in seine Mainzer Jahre hinein beschäftigte und ihn wiederholt zur Feder greifen ließ. Den kürzer gehaltenen Anweisungen über das Predigtwesen in „De institutione clericorum“ sandte Hraban bald Predigtsammlungen nach, in denen er ältere Vorlagen den Verhältnissen der Gegenwart anpasste. Überhaupt gab eine starke Ausrichtung auf praktische Bedürfnisse, auf die Anforderungen von Seelsorge und Schule, der gesamten schriftstellerischen Arbeit des Lehrers, Abtes und Bischofs ihr Gepräge. Die Abfassung eines Martyrologiums mit kurzen Lebensbeschreibungen der Heiligen, Schriften über Grammatik, Schriftwesen, Zeitberechnung, die Bearbeitung der „Coena Cypriani“ bezeugen diese konkrete Zielsetzung nicht weniger als alle die Ausführungen, die Alltagsprobleme des Bischofs oder Leutpriesters lösen und Einzelfragen des Kirchenrechts, des Gottesdienstes, der Verwaltung der Sakramente erörterten. Sogar die Verantwortung des Untergebenen, der nach einer Empörung sich mit dem Befehl des Vorgesetzten zu rechtfertigen suchte, kam zur Sprache. Darlegungen zu theoretischen Problemen fehlten zwar nicht; aber wenn Abt Eigil von Prüm um eine Erklärung der Eucharistielehre bat, Ludwig der Deutsche und Hinkmar von Reims Gutachten über die Gottesschau im Jenseits oder über die Prädestination bestellten, dann verriet schon der Anlass zu Hrabans Antworten, wie sehr der Blick auf die Gegenwart und nicht das denkerische Streben nach Erhellung die auslösende Kraft war. Selbst hinter der inhaltlich weit ausholenden Enzyklopädie „De rerum naturis“ taucht die Gestalt eines vielbeschäftigten Kirchenmannes, des Halberstädter Bischofs Haimo, auf, dem es um ein Handbuch des zeitgenössischen Allgemeinwissens ging. Erst recht hatten die Gedichte handfeste Absichten. Freunde wollten begrüßt, Gräber, Kirchen, Altäre geziert sein; es mangelte sicher an dichterischer Kraft und Begabung, weniger an sprachlichem Geschick. Einige der Hymnen haben sich über alle liturgischen Reformen bis in das 21. behauptet; ob freilich die berühmte Pfingstsequenz „Veni Creator Spiritus“ Hrabans tatsächlich gedichtet hat, ist bis heute nicht endgültig ausgemacht.

Hrabans an Umfang und Einfluss ansehnlichstes Werk stellen seine Kommentare zu zahlreichen Büchern das Alten und Neuen Testamentes dar. Bisher nur unzulänglich oder gar nicht gedruckt, harren sie noch allseitiger Durchsicht. Die Forschung wendet ihnen nur stockend ihre Aufmerksamkeit zu; allerdings ist auch ohne Rückgriff auf die handschriftliche Überlieferung nicht recht weiterzukommen. Seit die Eigenarten der angelsächsischen Schrifterklärung sich von dem System der Iren unterscheiden lassen und eine gewisse Vorliebe für sachliche Kommentierung an Stelle weit ausgesponnener allegorischer Auslegung sichtbar wird, treten neue Gesichtspunkte für die Arbeit an den Kommentaren Hrabans hervor. Die einzelnen Elemente hrabanischer Exegese aus ihren Quellen, den Schriften der Kirchenväter, abzuleiten, genügt nicht. Hinzutreten muss Klärung der Grundsätze und Auswahlprinzipien sowie ein genauerer Vergleich mit der Umwelt. Über die Berührungen mit dem wenige Jahre älteren Bibelwerk des Bischofs Claudius von Turin sind die Akten längst nicht geschlossen. Von dem einen oder anderen anonymen Bibelkommentar weiß bis heute niemand, ob Hraban hier gegeben oder genommen hat. Erkenntnisse aus der Entwirrung verwickelter Überlieferungsprobleme bei mittelalterlichen Autoren späterer Jahrhunderte können möglicherweise nutzbar gemacht werden; vielleicht fällt ferner neues Licht auf das Mitarbeiter, die Hraban so gut hatte wie Bernhard von Clairvaux seine Sekretäre. Kaum begonnen ist die Auswertung für die Geschichte der karolingischen Theologie. Da der theologische Unterricht sich nicht in verschiedene Disziplinen gliederte, sondern bei der Auslegung des heiligen Textes die einzelnen Fragen der Glaubens- und Sittenlehre erörterte, schlug sich in den Kommentaren Hrabans Einstellung zu strittigen Punkten und sein gesamtes System nieder.

Die Zeitgenossen schätzten die umfassende Belesenheit und die handbuchartige Zusammenfassung. Kaiser Lothar I. wagte den schmeichelhaften Vergleich mit den berühmtesten Kirchenlehrern, einem Augustinus und Hieronymus. Der späteren gelehrten Welt, die großen Scholastiker eingeschlossen, erschien Hraban unangefochten als Meister; seinem geistigen Erbe entstammte manche klassische Stelle. Je entschlossener man freilich zu den Quellen zurückging, desto mehr verlor das geistige Erbe des Mainzers als Anziehungskraft. Lange Abschnitte waren nichts anderes als Auszüge aus den Werken der Kirchenväter und der Schriftsteller des 7. und 8. Jahrhunderts; viele seiner Arbeiten enthielten mehr fremdes als eigenes Gut. Darum erhoben sich gewichtige Bedenken gegen den wissenschaftlichen Rang des Praeceptor Germaniae. Nur langsam kommt man einer einheitlichen Meinung über die geistesgeschichtliche Bedeutung Hrabans näher. Das der Vorwurf des Plagiates ganz unhistorisch von modernen Voraussetzungen ausgeht und bei einem Schriftsteller des frühen Mittelalters fehl am Platze ist, hat sich inzwischen als allgemeine Überzeugung durchgesetzt. Die Feststellung mangelnder Originalität und Selbstständigkeit trifft ins Leere bei einem Autor, der bewusst Vermittler, Lehrer sein will, verkennt zudem die besonderen Bedingungen einer Epoche, der Alter und Tradition bevorzugte Bürgen der Wahrheit bedeuten. Hrabans Streben nach Erkenntnis-fortschritt führte bei aller Treue zu Geist und Wort der immer neu beschworenen Kirchenväter gelegentlich doch über ihre – und selbst Alkuins – Ergebnisse hinaus, scheute nicht vor neuen ungewohnten Wegen zurück und gestattete sich zur Erklärung einiger Bücher des Alten Testamentes sogar die Benutzung eines kürzlich, etwa um 800, entstandenen Glossenwerkes jüdischer Herkunft – ein zwar nicht gerade einmaliger, aber in der christlichen Exegese des Mittelalters immerhin verhältnismäßig seltener Fall. Sodann wird die Unterscheidung zwischen scholastischer und monastischer Theologie, die zunächst an die Zeiten Gregors VII. und der Kreuzzüge denkt, für die karolingische Geistigkeit fruchtbar zu machen sein. Denkrichtung und Empfindungsweise der späteren klösterlichen Bildungszentren werden auch die Eigenart der hrabanischen Schriftstellerei erkennen helfen. Endlich verdienen Hrabans eigene Angaben über die Entstehung mancher Werke auf losen Blättern und Beobachtungen über die bisweilen ungeschickte Kompilationstechnik Beachtung.

Hrabans Absicht war, das antike Geistesgut in eine gewandelte Zeit hinüberzuleiten. Einem bücherarmen Geschlecht verschafften seine Exzerpte den Anschluss an eine große Vergangenheit, und zugleich öffnete sich dem Erbe der Alten eine neue Zukunft. Im Brückenschlag vom klassischen Altertum zu der Welt der Franken und Sachsen ruht die eigentliche Bedeutung Hrabans. Die Begegnung mit der fremden Wahrheit führte zu vertiefter Besinnung auf die eigene Kraft. Darum war es kein Zufall, dass gerade Fulda, dank Hraban einer der großen geistigen Umschlagplätze des Karolingertums -, mit einem etwas starken Wort – zur Wiege der althochdeutschen Literatur wurde. Von Hraban selbst haben sich nur wenige Proben seiner Bemühungen um die deutsche Sprache erhalten. Aber wenn die drei großen deutschen Bibelbearbeitungen des 9. Jahrhunderts, die Übersetzung der Evangelienharmonie Tatians, der „Krist“ Otfrids und, sofern nicht alles täuscht, ebenfalls der „Heliand“ in den Umkreis Fuldas gehören, dann ist diese Entwicklung ohne Fuldas großen Lehrer undenkbar. Ganz ohne Zweifel war Hraban nicht Forscher, Denker, Grübler,. Statt Pionier war er, wie man richtig gesagt hat, Mann der zweiten Generation. Er wollte nicht erobern, sondern bewahren, sichern, weitergeben. Über allem Buchwissen, das er aufhäufte, war sein Denken dennoch nicht der Theorie, sondern dem Leben zugewandt. Dieser Wirklichkeitsnähe entsprang ein lebhafter Sinn für das Konkrete und eine deutliche Hinwendung zum Alltag. Zu den Folgen zählten sowohl die starke Abhängigkeit seiner wissenschaftlichen Arbeiten von den Erfordernissen des Augenblicks als auch seine Aufgeschlossenheit für Volksfrömmigkeit und Volkssprache. Der Runenschrift und dem Volksbrauch ging er nach; dass im Hintergrund das seelsorgliche Motiv des Kampfes gegen den Aberglauben und, zumal bei den Versuchen in deutscher Sprache, angelsächsische und ebenso vielleicht irische Anregungen wirksam wurden, bedeutete nur eine Förderung. Hinter den kleinen Dingen vermochte Hraban die großen Zusammenhänge zu entdecken. Dennoch lag seinem undoktrinären Wesen scharfmacherischer Intellektualismus fern; er liebte die Polemik nicht und gab sich nicht für Übertreibungen her. Obwohl er dem Sündengefühl weniger Ausdruck verlieh als etwa Alkuin und Einhard, besaß er echte Frömmigkeit; es geht nicht an, erklärt er, dass Zecher die Geheimnisse Gottes, ernste theologische Streitfragen über die ewige Seligkeit, zum Gesprächsstoff wählen.
Warmherzige Menschlichkeit gehört gleichfalls zu Hrabans Bild. Lediglich sein Verhalten gegen Gottschalk scheint den Eindruck zu stören. Auf Härte und Verständnislosigkeit lautet der Tadel. Hrabans Vorgehen wurde aber nicht durch persönliche Voreingenommenheit und Verärgerung bestimmt, sondern diente der Verteidigung der angegriffenen Wahrheit und der Sorge für die reine Lehre. Seine alten Anliegen standen hinter dem Kampf, die Furcht vor der Ausbreitung des Irrtums und somit die Verantwortung für die Herde, weiter der Wunsch, Langgeübtes Herkommen und gewohntes Verständnis, also das Erbe der Vergangenheit, zu sichern gegen Umsturz und neue Deutung. Nicht menschliches Versagen verschuldete den Streit, sondern innere Notwendigkeit ließ beide Männer feindliche Stellungen beziehen. Wenn sich in Gottschalk die rückhaltlose, nur der Wahrheit verpflichtete Auseinandersetzung mit der Sache verkörperte, dann hatte in Hraban die Überzeugung Gestalt gewonnen, dass es echten Fortschritt ohne Wahrung des Besitzstandes und ohne den Blick nach Erkenntnis noch seinem Gegner bewussten Anschluss an die Tradition abstreiten dürfen – aber das Spiel der Kräfte hatte begonnen, nichts konnte den Zusammenprall aufhalten.

Als Kind - ähnlich wie einst Hraban selbst - war Gottschalk (um804-868/9)von seinem Vater, dem sächsischen Berno, nach Fulda gegeben worden. Von dort hatte man ihn zu vertiefter Ausbildung für zwei Jahre nach der Abtei Reichenau gesandt. Plötzlich mochte Gottschalk den begonnen Weg nicht weitergehen und focht die Oblation an. Als Grund für die Unglücklichkeit führte er einen Formfehler ins Feld: Die Zeugen waren nicht ausschließlich sächsischen Geblütes gewesen. Der Einspruch stieß bis ins Grundsätzliche vor: Ein Freier könnte seinen Sohn nicht zum Sklavendienst, auch nicht zum Dienst vor Gott, verpflichten. Als Abt Gottschalks vermochte Hraban diese Beweisführung nicht zuzustimmen. Mit Nachdruck wandte er sich gegen die abwertende Auffassung des Mönchtums, erinnerte, ganz wie er es auch sonst tat, an die Einheit des Menschengeschlechtes und bestritt, dass sich der Rechtsstand nach der Volkszugehörigkeit unterschied. Er sah den christlichen Gedanken der Gleichheit aller Menschen durch heidnische Vorstellungen bedroht und nahm die christlichen Grundsätze gegen das falsche Denken Neubekehrter, wie er die Sachsen nun einmal wertete, in Schutz. Mit dem theologischen Problem verquickten sich vermögensrechtliche Fragen um das Erbe Gottschalks und vielleicht auch innerklösterliche Auseinandersetzungen, denn bereits unter Ratgar waren die Fuldaer in der Frage der jugendlichen Gottgeweihten mit ihrem Abt nicht eins gewesen. Jedenfalls hatte Gottschalk Teile nicht nur des heimatlichem Adels, sondern auch seines Klosters im Rücken und konnte bei der Mainzer Synode von 829 vorstellig werden. Als das Urteil der Abtei das Vermögen (außer einer Abfindungssumme) zusprach, Gottschalk jedoch freigab, trug Hraban den Fall dem Kaiser vor. Das Ende des Streites ist ebenso unbekannt wie Gottschalks Schicksal in den nächsten Jahrzehnten. Zuletzt weilte er im Kloster Orbais, empfing dort die Priesterweihe und unternahm schließlich eine Wallfahrt nach Rom. Mit einer Schar von Anhängern durchzog er das Land als einer jener Wanderlehrer, an denen Italien seit längerem nicht arm war. Er beteiligte sich an der Slavenmission und gelangte über Dalmatien bis in das Herrschaftsgebiet der Bulgaren. Durch betonte Herausstellung des Prädestinationsgedankens erregte seine italienische Wirksamkeit Widerspruch. Bei einer gemeinsamen Reise im Gefolge des Kaisers erfuhr Hraban Einzelheiten aus dem Munde eines landeskundigen Gewährsmannes. Kurz bevor er nach Mainz ging, schrieb er an Gottschalks Gönner, den Markgrafen Eberhard von Friaul, machte ihn auf die üblen seelsorglichen Folgen der Prädestinationspredigt aufmerksam und erbat sein Einschreiten. Im Gegenangriff beschuldigte Gott- schalk seinen Gegner der Irrlehre und trat 848, wiederum auf einer Mainzer Synode, gegen Hraban auf. Die Versammlung stellte sich jedoch auf die Seite des neuen Erzbischofs, erklärte Gottschalk zum Häretiker und wies ihn nach körperlicher Bestrafung aus dem Ostreich aus. Nachdem Hraban Hinkmar als den zuständigen Metropoliten verständigt hatte, wiederholte wenige Monate später eine westfränkische Synode in Quierzy die Verurteilung. Aufs neue beeinflussten Gegensätze, die mit seiner Person nichts zu tun hatte, sein Geschick. Die Weihe zum Priester verdankte er einem Landbischof; nun wurde der unselige Mann in Hinkmars Kampf gegen die Träger dieses Amtes hineingezogen und seiner Priesterwürde entkleidet. Ein zweites Mal musste er die – jetzt besonders roh vollzogene – Strafe erdulden; dann kam er in Klosterhaft nach Hautvillers. Zwanzig Jahre verbrachte Gottschalk in seiner Zelle, rastlos grübelnd und immer Rätseln der Gotteslehre auf der Spur. Anfangs war es ihm noch möglich, neue Schriften hinausgehen zu lassen. Erst als Hraban die schädliche Wirkung dieser Freiheit rügte, erschwerte man die Verbindung mit den Freunden. Wieweit sich zu Beginn der sechziger Jahre die Aussichten für den Gefangenen besserten, ist nicht zu entscheiden. Andeutungen und Vermutungen in den Quellen geben keine ausreichende Klarheit. Sicher ist nur, dass Gottschalk alle Angebote Hinkmars, die freilich seine Unterwerfung vorraussetzten, zurückwies. Ohne nachzugeben, starb er 868/9.

Der starrsinnige Mönch hat es weder der Mitwelt noch der Nachwelt leicht gemacht. Zu Lebzeiten fand er Freunde, die unentwegt zu ihm standen, Walahfrid, Strabo Hrabanus größter Schüler, der Gottschalk menschlich sehr nahe kam, weiter die Schüler, die er überall zu begeistern verstand, und im gleichen Maße Feinde, die nicht locker ließen, die Ausbreitung seiner gefährlichen Lehren zu verhindern – so Hraban und Hinkmar. Gottschalks Wesen ist von Spannungen und Gegensätzen beherrscht: leidenschaftliche Anlage, die sich nach einer guten Beobachtung in einer gewissen Maß-losigkeit seines Ausdrucks entlädt, selbst sicheres Auftreten und prophetenhaftes Pathos auf der einen, auffallend lebhaftes Sünden- und Schuldbewusstsein auf der anderen Seite. Die wiederspruchsvolle Gestalt geriet nach seinem Tode erst recht in den Streit der Meinungen. Ob es je gelingen wird, alle Rätsel um den Mönch von Fulda, Orbais und Hautvillers zu lösen, scheint zweifelhaft. Mit Gewissheit aber lässt sich feststellen: der Sachse Gottschalk ist einer der führenden Köpfe in der geistesgeschichtlichen Entwicklung des 9. Jahrhunderts. Er hat Probleme gesehen und Fragen aufgeworfen. Er ist einer der großen Anreger. Als Mensch ist er gescheitert, aber er hat nicht umsonst gelebt. Aus der Geschichte ist er nicht wegzudenken – so wenig wegzudenken wie Hrabanus Maurus.


Ausschnitt aus: Hrabanus Maurus, De rerum naturis Mittelalterliche Schreiberszene:
Schreiber mit Gänsefeder und zwei Tintenhörnchen. Süddeutschland, 1425





Hrabanus Maurus, beim Überreichen seines Bildgedichtes zum Lob des Hl. Kreuzes
an Papst Gregor IV. Miniatur in einer überarbeiteten Ausgabe des Werkes.
Handschrift der Fuldaer Schule, nach 831. Wien, Österreichische Nationalbibliothek



Zimelien aus der Kurpfalz und Italien Hrabanus Maurus, "De rerum naturis - eine Prachthandschrift für Kurfürst - Ludwig III. Süddeutschland, 1425 Pergament, 274 Bil.,-26,5 x 35 cm, zweispaltiger Text in gotischer Minuskel, zahlreiche Miniaturen Cod. Pal. Lat. 291 Abb. von fol. l', 2', 43'im Bildband


Die Bilderhandschrift Pal. Lat. 291 bietet neben dem Codex 132 der Bibliothek von Montecassino die vollständigste Überlieferung für Text und Miniaturen zu Hrabanus Maurus' großer Enzyklopädie De rerum naturis. Das Fehlen weiterer älterer, vollständig illustrierter Handschriften des Werks macht die spätmittelalterliche Palatinahandschrift zu einer erstrangigen Quelle für eine ansonsten nur lückenhaft greifbare Bildtradition. Inwieweit karolingische oder hochmittelalterliche Vorlagen direkt für die Illuminierung des Palatinus herangezogen wurden, lässt sich nicht bestimmen. jedoch erweist der Vergleich mit dem ins 11. Jahrhundert zu datierenden Codex aus Montecassino, daß für die Illustration der Enzyklopädie des Hrabanus Maurus ein festgefügter Kanon ikonographischer Bildmuster vorlag.

Der Text der Enzyklopädie breitet, auf 22 Bücher verteilt, das gesamte heilsgeschichtliche und naturhistorische Wissen seiner Zeit aus. Die literarische Leistung Hrabanus Maurus' besteht in erster Linie in seiner Auswahl und Kompilation aus verschiedenen Quellen. Die locker in den Text eingestreuten Illustrationen des Palatinus spiegeln die ganze (spät-) mittelalterliche Vorstellungswelt: Wir sehen Gottvater, Jesus Christus und den Heiligen Geist samt den himmlischen Heerscharen, Pharao und Joseph, die Propheten und Evangelisten, Märtyrer und Mönche, Juden, Häretiker, Heiden, erblicken Kirchen und Synagogen, Städte, Burgen, Wohn- und Vorratshäuser, Kloaken und Badestuben, Bibliotheken und Wirtshäuser, die heidnischen Gottheiten der Antike marschieren auf und der Teufel, wie ihn sich der Christ des Mittelalters dachte, Menschen verschiedenen Alters und in verschiedenen Lebenslagen, Wunderwesen, Tiere und Pflanzen mannigfacher Art, die Gestirne, Naturerscheinungen wie Gewitter, Hagelschauer, Regen, Eis und Schnee, menschliche Beschäftigungen und Betätigungen, ernsthafte Kämpfe und Kampfspiele, Belustigungen, Waffen, Trinkgefäße, Geräte verschiedener Form und Bestimmung usw. (P. Lehmann).

Fol. l' der Handschrift (Abb. im Bildband) zeigt die Miniatur der sitzenden Gottesmutter und des Jesuskindes, vor der ein betender Adeliger niederkniet, begleitet von einem stehenden Schutzheiligen. In der Mitte vor dem Anbetenden befindet sich das kurpfälzische Wappen. Da die Handschrift im Kolophon auf das Jahr 1425 datiert ist, handelt es sich bei dem Bildnis des Stifters sehr wahrscheinlich um den Pfalzgrafen Ludwig 111. Den ihn empfehlenden Heiligen identifiziert L. von Wilckens aufgrund seines Atributs (weißes Kreuz auf rotem Grund) als den Heiligen Georg und nicht als den eher zu erwartenden Namenspatron des Kurfürsten Ludwig. Die Handschrift entstand wohl im Auftrag Ludwigs III. für seine private Bibliothek; in der Liste der von Ludwig III. der Universität Heidelberg testamentarisch vermachten Bücher von 1438 ist die Hrabanus Maurus Handschrift nicht verzeichnet. Ein Eintrag auf einem vorgehefteten Blatt zeigt, daß das Buch weiterhin in den Händen der Herrscherfamilie verblieb: Dis buch gehortt zw dem durchluchtigsten cürfürsten pfalzgraven Ludwigen etc, und ist anno XVIII hernn Philippen, bischoven zw Freisingen und Numborg etc., pfaltzgraven etc., seinerfürstlichen Gnaden bruder, gelichen worden. Demnach stellte der Wittelsbacher Kurfürst Ludwig V. (1508-1544) 1518 den Codex seinem Bruder Philipp, dem Fürstbischof von Freising zur Verfügung.

Nach dem dreispaltigen Inhaltsverzeichnis beginnt der in zwei Spalten geschriebene- Text auf fol. 2v (Abb. im Bildband). Es ist dies die einzige Seite der Handschrift, die mit floralen Rankenornamenten ausgestattet ist. Eine Miniatur am Anfang der linken Spalte zeigt den thronenden Gottvater, von vier musizierenden- Engeln umgeben. Darunter erscheint eine goldene Initiale A, die mit einer Miniatur - zwei Engel präsentieren ein Buch -gefüllt ist.

E. Panofsky charakterisierte die Illuminierung der Handschrift als eine charmingly, provincial version of what -is now generally called the >International Style Of around 1400e. Die opulente Ausstattung der Handschrift setzt bei ihrer Fülle von Miniaturen ein hochgradig arbeitsteilig organisiertes Atelier voraus. L. von Wilckens unterscheidet insgesamt zehn Hände, die an den Miniaturen mitgewirkt haben sollen.

Für die von L. von Wilckens vorgeschlagene Lokalisierung der Werkstatt nach Heidelberg sprechen nur spärliche Argumente. Die stilistisch vergleichbaren Miniaturen des Cod. Pal. Lat. 411 stammen aus einer Handschrift, die nachweislich in Amberg, der zwei­ten kurpfälzischen Residenz im 14. und 15. Jahrhun­dert, geschrieben wurde. Wenn die Identifizierung des Schutzheiligen auf der Miniatur der Eingangs­seite mit dem heiligen Georg zuträfe, könnte dies als weiterer Hinweis auf eine mögliche Entstehung der Handschrift in der oberpfälzischen Stadt Amberg, deren Patron der heilige Georg ist, verstanden wer­den.

Migne, PL 111, Sp. 1-614. - M. Reuter, Text und Bild im Codex 132 der Bibliothek von Montecassino »Liber Rabani de originibus rerum«, München 1984. - L. von Wilckens, Buch­malerei um 1410-40 in Heidelberg und in der Kurpfalz, in: An­zeiger des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1980, S. 30-47. - D. 0. Le Berrurier, The Pictorial Sources of My­thological and Sclentific Illustrations in Hrabanus Maurus' De rerum naturis, New York u. London 1978. - D. 0. Le Berru­rier, Un fragment inedit d'un copie du XIV' siecle de l'encyclo­pedie de Raban Maur, in: Cahlers Archeologiques, Bd. 22 (1972) S. 47-54. - E. Heyse, Hrabanus Maurus'Enzyklopädie »De rerum naturis«: Untersuchungen zu den Quellen und zur Methode der Kompilation, München 1969. - E. Panofsky, Hercules Agricola: A Further Compilation in the Problem of the Illustrated Hrabanus Manuscripts, in: Essays in the Hi­story of Art Presented to Rudolf Wittko",er, New York 1967, S. 20-28. - P. Lehmann, Fuldaer Studien II, Illustrierte Hraba­nus-codices, in: Sb. der philosophisch-philologischen und der historischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissen­schaften zu München 1927, München 1927, S. 13-47 - Stevenson Cod. Lat., S. 74.





Hrabanus Maurus
De rerum naturis,
Amberg (?),1425
Cod. Pal. Lat. 291, Fol. 2 v





Hrabanus Maurus
De rerum naturis,
Amberg (?),1425
Cod. Pal. Lat. 291, Fol. 43 r



ZURÜCK ZUM INHALT